Hallo,
ich will jetzt nicht den Spielverderber spielen, aber es ist kontraproduktiv mit Medikamenden zu hantieren, wenn man keinerlei Ahnung von Pharmakodynamik und Pharmakokinetik hat:
Die Pharmakokinetik beschreibt die Aufnahme , die Verteilung, den Um-/Abbau, sowie die Ausscheidung eines Arzeneistoffs in einem Organismus. Sie beschreibt damit immer das, "was mit dem Arzeneistoff passiert", während die Pharmakodynamik die Wirkungsweise des Arzeneistoffs im Körper beschreibt.
Beide Begriffe müssen immer gemeinsam betrachtet werden, wenn man einen Wirkstoff gezielt einsetzen will. Gucken wir uns das doch mal für den vorliegenden Fall an:
Die Aufnahme des Arzeneistoffs ist bei den Garnelen nicht ganz so einfach zu beuteilen. Der Wirkstoff Enrofloxacin, ist mit einem Molekulargewicht von 359,39 U oder eben 359,39g/mol nicht wirklich klein und handlich. Auch die drei Ringsysteme in seiner Struktur machen das Molekül sperrig.
Jedoch ist es mit einen p-Wert von 2,54 noch recht lipophil.
Man kann daher schlecht sagen, ob die Tiere den Wirkstoff aktiv aufnehmen müssen (über aus dem Becken aufgenommene Nahrung bzw. die kleinen Wassermengen, die beim Fressen zwangsläufig mitgeschluckt werden) oder die Aufnahme in ausreichender Menge schon durch den Panzer erfolgt.
Wichtig ist sich zu merken, dass nicht alles, was zur Verfügung steht auch im Tier ankommt.
Zeitgleich mit der Aufnahme beginnt auch die Transformation/Elemiiniation im Organismus, d.h. bereits ab dem 1. Wirkstoffmolekül im Körper beginnt auch die Umwandlung des Wirkstoffs. Manchmal ist die Umwandlung eines Wirkstoffs unbedingt nötig, damit er überhaupt funktionieren kann, man spricht dann von einem sog. "First-pass-Effekt", wenn eine noch unwirksame Wirkstoffvorstufe im Stoffwechsel in verschiedene Abbauprotdukte gespalten und somit akitivert wird.
Für das Enrofloxacin ist dieser Effekt ohne wesentliche Bedeutung im Hinblick auf seine Wirksamkeit, da die erste Abbaustufe des Enroflxacin das Ciprofloxacin ist. Hier wird es dann spannend, denn der aufmerksame Leser weiss nun vielleicht, dass es sich bei Ciprofloxacin um den artverwandten Wirkstoff aus der Humanmedizin handelt.
Für die Behandlung der Tiere ist das von Vorteil, denn sowohl Enrofloxacin als auch Ciprofloxacin sind bakterizid (bakterienabtötend) wirksam. Im Hinblick auf eine mögliche Resistenzenbildung ist hier natürlich eine gewisse Vorsicht geboten, wobei beide Wirkstoffe so eng verwandt sind, dass eine Resistenz gegen Enrofloxacin möglicherweise immer mit einer Resistenz gegen Ciprofloxacin verknüpft ist und umgekehrt. Dazu habe ich aber keine Daten vorliegen und man müsste mal einen Mikrobiologen fragen, der täglich im Labor damit zu tun hat.
Generell kann man daraus daher nur ableiten, dass der Einsatz von Antibiotika IMMER kritisch abgewogen, und fachgerecht erfolgen darf.
Letztendlich bedeutet das zeitgleiche Vorliegen von Abbau und Aufnahme nebeneinander, dass die Aufnahme den Abbau und die Ausscheidung übersteigen muss, will man biologisch wirksame Konzentrationen des Wirkstoffs im Organismus erzielen.
Betrachtet man das Ganze jetzt mal aus Sicht der Pharmakodynamik, so müssen die Begriffe "Minimale Wirkkonzentration" und "Therapeutische Breite" unweigerlich fallen.
Die minimale Wirkkonzentration bezeichnet die Konzentration eines Pharmakons, die notwendig ist, dass die gewünschte Wirkung eintritt. Anders gesagt: Wie viel muss mindestens da sein, damit es funktioniert?
Wer eben aufgepasst hat weiss nun, das die Konzentraion eines Wirkstoffs durch Abbau und Ausscheidung permanent verringert, durch Aufnahme jedoch auch permanent angehoben wird.
Jenachdem in welchem Verhältnis Aufnahme und Abbau/Ausscheidung zueinander stehen, wird dir Wirkkonzentration früher oder später oder vielleicht auch gar nicht erreicht.
Für das Aquarium ist diese Frage jedoch nur am Rande wichtig, da der Wirkstoff ins Wasser gegeben wird und das Aquarium auch nicht verlassen kann. Ungenutzt ausgeschiedener Wirkstoff verbleibt ja auch im Gesamtsystem "Aquarium" und kann nochmals aufgenommen werden.
Die therapeutische Breite bezeichnet die Spanne der Wirkstoffkonzentration, innerhalb die gewünschte Wirkung vorliegt, es jedoch noch nicht zu toxischen Begleigerscheinungen kommt. Die Untergrenze der therapeutischen Breite wird daher von der minimalen Wirkkonzentration bestimmt, die Obergrenze davon, welche Nebenwirkungen noch tolerabel sind. Es gibt Medikamente, da ist der Unterschied zwischen wirksamer und letaler Dosis sehr gering, während andere Medikamente deutlich höher als eigentlich minimal erforderlich dosiert werden können, bevor es zu ernsthaften Nebenwirkungen kommt.
Bei Antibiotika ist die therapeutische Breite im Regelfall relativ groß, weshalb man sich über eine Überdosierung erst relativ spät Gedanken machen muss, jedoch muss unterschieden werden in akut toxische und chronisch toxische Wirkung. Denn auch geringere Dosen können, über einen längeren Zeitraum gegeben, zu Nebenwirkungen führen.
Idealerweise sind Dosierung und Anwendungsdauer eines Medikaments daher so zu wählen, dass man so weit oberhalb der minimalen Wirkkgrenze zu liegen kommt, dass eine Wirkung als sicher erachtet werden kann, jedoch noch soweit von der Obergrenze der therapeutischen Breite entfernt ist, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Gleichzeitig sollte nicht übermässig lang behandelt werden um keine Langzeitschäden hervorzurufen.
Beim Einsatz von Antibiotika stellt sich IMMER die Frage nach möglicher Resistenzbildung, um hier verantwortungsvoll abwägen zu können, sollte man sich erstmal bewusst machen, wie sich Resistenzen bemerkbar machen. Resistenzen sind nämlich wie ein Lichtschalter binär und es gibt nur die Möglichkeit ja oder nein, sondern Resistenzen können auch fließend sein. Betrachtet man dies einmal am Beispiel der minimalen Wirkkonzentraion, so kann diese durch eine Resistenz deutlich höher liegen, aber das Medikament wirkt prinzipiell noch. Dies wäre z.B. der Fall, wenn ein Erreger quasi ein Gegengift gegen das Medikament produzieren würde. Verpasst man dem Erreger mehr Wirkstoff als er Gegenmittel herstellen kann, wird das Medikament also dennoch wirken. Die Obergrenze bestimmt hierbei dann die therapeutische Breite, denn es hat keinen Sinn durch Überdosierung zwar den Krnakheitserreger noch zu erwischen, jedoch den Patienten umzulegen.
Eine andere Möglichkeit ist die völlige Resistenz, wo es ein Erreger geschafft hat seinen Stoffwechsel so umzustellen, dass der Angriffspunkt des Wirkstoffs nicht mehr existiert. Hier hilft dann auch kein Höherdosieren mehr, sondern nur das Ausweichen auf einen anderen Wirkstoff.
Dosiert man außerdem, aus falsch verstandenem Umweltschutz, zu niedrig, so schaltet man nur die Bakterien aus, deren Toleranzgrenze unterhalb der eingesetzten Konzentration lag. Teilresistenten Bakterien schafft man so nur die Konkurrenz vom Hals, und die Resistenz festigt sich.
Betrachtet man das alles mal zusammengenommen, so kann daraus nur folgen:
1. Einsatz von Antibiotika nur wenn absolut erforderlich
Bis auf Ausnahmen sind Infektionen im Aquarium eigentlich immer auf Haltungs- und Bedienfehler zurückzuführen. Daher halte ich persönlich es nicht für zweckmäßig gerade Anfängern zu Antibiotika zu raten, da das Grundproblem "Fehler durch Unerfahrenheit / mangelndes Wissen auch nach der Behandlung prinzipiell immer noch besteht. Gleichzeitig sehe ich aber auch das Dilemma, dass ein Händler oder professioneller Züchter natürlich mit seiner Existenz an seine Tiere gekettet ist, und daher eher zu Medikamenten greift. Jedoch würde ich auch dort verlangen wollen, dass die Haltungs- und Zuchtbedingungen parallel optimiert werden müssen. Antibiotika dürfen kein Ersatz für fehlende Pflege und Hygiene aus Kostenersparnis sein.
2. Wenn schon Antibiotika dann:
- Keine falschverstandene Homöopathie im Garnelenbecken,
weil Medikamente ja böse, böse Chemie sind. Ohne die notwendige Dosis wird man nichts errechen. Also: Die volle Dosis ins Becken und nicht rumgeeiert. Wenn ich mir Gedanken über die eingesetzte Gesamtmenge an Antibiotikum mache, dann sollte ich lieber daran denken, dass im Aquarium in mg/L dosiert wird. Weniger Liter = weniger Medikament.
Die Shrimps brauchen keine 20 cm Wasser überm Kopf. 5cm tun es auch. Also sollte man die Wassermenge im Becken vor Behandlungsbeginn soweit reduzieren wie möglich. Wenn statt 30L nur noch 10L im Becken sind, brauch ich auch 2/3 weniger Medikament.
- keine Endlosbehandlungen
Bakterien habe eine sehr kurze Generationszeit. Daraus folgt, dass ich nach spätestens 2 Tagen alle Bakterien erwischt habe, oder sie sind resistent gegen meinen Wirkstoff. Wie gesagt: Der Wirkstoff kann aus dem Aquarium nicht raus, und somit ist es viel leichter bei der Garnele als beim Menschen, überall im Körper wirksame Konzentrationen zu erzielen, da ja nur eine minimal Körpermasse mit dem Medikament durchdrungen werden muss.
- Kein Ausschleichen des Antibiotikums mit vielen kleinen Wasserwechseln
Damit hält man das Antibiotikum nur in geringer Dosis über längere Zeit im Wasser. Neue Filterbakterien können sich erst nach Unterschreiten der minimal wirksamen Konzentration des Wirkstoffs ansiedeln.
Daher: 80% Wasserwechsel nach 2 Tagen und am nächsten Tag nochmal. Bei gut eingestelltem und temperiertem Wechselwasser macht das normalerweise den Tieren nichts aus. Viele Halter machen solch große Wasserwechsel sowieso regelmäßig um das Becken durchzuspülen.
Bei einer Dosis von 5mg/L sind nach dem 1. Wasserwechsel noch 1mg/L vorhanden, nach dem 2. Wasserwechsel nur noch 0,2mg/L und nach dem 3. Wasserwechsel nur noch 0,04mg/L. Erst dann macht es Sinn evtl. Filterstartbakterien ins Becken zu bringen, es sei denn man möchte sie mit dem Antibiotikum gleich wieder killen.
- Es gibt Berichte über Fertilitätsstörungen bei Garnelen nach Antibiotikabehandlung in hoher Dosierung und über längere Zeit. Persönlich finde ich, dass es schwierig ist zu trennen, ob eine Fertilitätsstörung von der Vorerkrankung herrührt oder eine chronische Folge des Medikaments ist. Deshalb halte ich den Leitsatz "So lang wie nötig - so kurz wie möglich" für zwingend zu beachten.
4. Entsorgung
Der Königsweg ist sicherlich das Binden des Wirkstoffs mit Aktivkohle, jedoch muss dann auch diese entsorgt werden, das Adsorption kein endgültiger Vorgang ist, und ein gebundener Stoff auch wieder freigesetzt werden kann.
Daher halte ich es für besonders wichtig, ein Antibiotikum nach Möglichkeit erst gar nicht einsetzen zu müssen, und wenn es doch notwendig ist, die eingesetzte Menge so gering wie möglich zu halten (s.o.).
Muss man das Wechselwasser nun doch entsorgen, so halte ich eine möglichst starke Verdünnung des Wasser für erforderlich: Bakterien entwickeln Resistenzen zunächst zufällig durch Mutation, jedoch werden Resistenzen in einer Bakterienpopulation nur dann verfestigt, wenn man einen entsprechenden Selektionsdruck durch Antibioitka aufbaut. Ohne Antibioitkakontakt hat ein resistentes Bakterium keinen Selektionsvorteil mehr gegenüber nicht resistenten Bakterien. Daher ist es ein Notbehelf, die Restkonzentration des Antibiotikums im Abwasser durch Verdünnen bis unter die Wirksamkeitsgrenze zu senken, um so die Auswirkungen auf Bakterien im Wasser zu mindern.
Machen wir uns nichts vor: Der Selektionsdruck ist generell schon durch Massentierhaltung und Medizin gegeben, aber man muss diesen ja nicht durch das eigene Tun verstärken.
Ich hoffe mein sehr langer Post klärt ein wenig über die Hintergründe zum Einsatz von Antibiotika auf und macht außerdem deutlich, dass diese wichtigen Medikamente, auf deren Wirksamkeit wir Menschen für unsere Gesundheit dringend angewiesen sind, ausschließlich in die Hände von Fachleuten gehören, und nicht einfach so empfohlen oder eingesetzt werden sollten, wenn keine wirklich genaue Abwägung über ihren Einsatz getroffen wurde und fehlendes Fachwissen einen effizienten Einsatz unmöglich macht.
VG vom Himalaya
Yeti