Hallo Christian,
bezüglich der Systematik, Artdefinitionen und Vererbungslehre können wir uns gerne einmal lange persönlich unterhalten. Dazu bedarf es aber einer Menge Zeit. Vielleicht könnte man dazu ja mal einen Workshop über ein ganzes Wochenende organisieren. Ist aber momentan wohl eher Zukunftsmusik.
An dieser Stelle ein paar Anmerkungen zu Deinen Ausführungen, obwohl wir das hier nicht weiter vertiefen müssen, denn diese Thematik ist wahrscheinlich nicht von Allgemeininteresse:
?Tiger- und Bienengarnele sind zwar beide noch unbestimmt, aber wohl relativ eindeutig der Serratagruppe zuzuordnen. Aus diesem Grund wird auf eine Kreuzbarkeit geschlossen, da die Verwandschaft in diesem Bereich ja doch sehr nah ist."
Näher verwandte Gruppen mit gemeinsamen phylogenetischen Merkmalen können und sollten durchaus aus mehrerern Arten bestehen. Ist das nicht der Fall, spricht man nicht von der Serrata-Gruppe sondern von der Art serrata.
?Wenn ich jetzt die Ausführungen der Experten richtig verstanden habe, sind bereits mehrere Kreuzungen innerhalb der Serratagruppe nachgewiesen worden. Wenn man eine Art danach abgrenzt, müssten beide nominellen Arten eigentlich der gleichen Art angehören, da sie zusammen eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden können."
Eine Kreuzbarkeit zwischen Arten ist durchaus bekannt. Je nach Ausgangsmaterial werden Kreuzungen zwischen Pferd und Esel zu Maultier oder Maulesel. Denk auch mal an die Kreuzungen von Tiger und Löwe, die ja durch die Presse gingen, bei den Fischen zum Beispiel Flower Horns, usw. Arten werden erst dann zusammengefasst, wenn sie bis in die dritte Filialgeneration uneingeschränkt fruchtbar waren.
?Folgt man der Artenabgrenzung müsste wahrscheinlich bald wieder eine Revision erfolgen und die Artenanzahl würde wohlmöglich sinken, bzw es würden neue Unterarten benannt werden."
Tatsächlich gibt es eine Reihe unterschiedlicher Ansätze, Arten zu definieren. Das ganze ist oft eine Sache der Auffassung und damit eigentlich immer subjektiv. ?Unterarten? bereiten mir beinahe schon Zahnschmerzen: Die Art ist die kleinste systematische Einheit. Gerade im Bereich ?Unterart?, oft eher durch phänotypische Merkmale bestimmt denn durch größere genetische Unterschiede, sieht man sehr gut, dass wir nur eine Momentaufnahme der Evolution machen, dass alles im Fluss ist. Ich bevorzuge die Bezeichnung Population und würde sogar noch einen Zeitfaktor mit einbringen (z.B. ?Population Cochin 1896?). Gerade Andreas und Werner stoßen doch beim Vergleich von heutigem Material und dem alter Beschreibungen sehr oft auf kleine Unterschiede. Was, wenn die Garnelen mit ihrer schnellen Generationenfolge gegenüber Umwelteinflüssen von der Anatomie her wesentlich flexibler reagieren, als das bisher berücksichtigt wurde?
?Ein Problem dabei ist sicher, dass sich auch die Experten selber über die Arteneinteilung einig sind. Die neuste Aufstellung von Liang ist ja auch nicht unumstritten. Ich persönlich bin aber nicht wissenschaftlich genug bewandert, um das wirklich beurteilen zu können und folge daher den Aussagen der "richtigen" Experten, so wie ich sie verstehe. Natürlich sind dabei auch Irrtümer möglich."
Meine Meinung dazu: Die Artbeschreibung ist ein Handwerk, das man durchaus erlernen kann (H.-O. Berkenkamp hat früher einmal einen Leitfaden für die klassische Methode verfasst. Danach hätte jeder Normalaquarianer eine Killifischart beschreiben können). Es ist aber ungleich schwieriger (oder komplizierter), der Art im System ihren Platz zuzuweisen. Idealerweise geschieht dies in einer Gattungsrevision. Außen vor lasse ich da jetzt mal komplett die Formalien, denen eine Artbeschreibung heute genügen muss, damit sie als gültig angesehen wird.
?Ich weiß nicht, ob man Fische und ihre Verhaltensweisen mit der von Garnelen vergleichen sollte oder kann."
Da sind wir wieder bei der Artdefinition. Eigentlich muss sie, wenn das Verhalten mit einfließen soll, auf beide Gruppen anwendbar sein.
?Aber eine Klärung solcher Beziehungen liegt natürlich auch in meinem Interesse und wäre mit Sicherheit begrüßenswert. Wobei ich bei einer Vergesellschaftung von Gruppen keinen Beweis für eine Nichtkreuzbarkeit sehe.?
Richtig. Hier könnte man aber beispielsweise beobachten, ob beide Formen bei ausreichender Auswahl der ?richtigen? Sexualpartner sich überhaupt für einander interessieren.
?Oft ist es so, was du ja selber weißt, dass es erst zu Kreuzungen kommt, wenn keine "normale" Alternative da ist - sprich kein Partner der eigenen Form."
Genau. Und, um die Sache abzukürzen, das war der Trick beim Entstehen der Red Bee Shrimps. Nicht per Zufall, wie die Crystal Red, sondern durch gezielten Ansatz im Verhältnis 1:1.
Soviel in aller Kürze. Muss jetzt wieder in die Anlage, Becken vorbereiten, denn morgen kommt mein Besuch aus Japan.
Gruß
Friedrich