Moin,
nun, jetzt haben wir uns hier wirklich einen Teil des Nachmittags versaut und dieses Pamphlet gelesen ... übrig geblieben ist die alte Frage: Was will uns der Autor damit sagen?
Jetzt mal ehrlich, den ganzen Text, der nur mit Hilfe von Aspirin und Kompaß zu lesen war, hätte man auf folgende Sätze eindampfen können:
Wer misst, misst Mist
1. Vor der Anschaffung von Testgeräten und/oder Chemikalien ist ein wenig Grundlagenarbeit über Meßmethoden und -verfahren nicht grundverkehrt und für seriöse Meßungen und Meßreihen notwendig.
2. Bei der Lektüre und Ausübung o.a. Meßverfahren sind auch Fehlerquellen zu berücksichtigen. Aussagekräftige Werte lassen sich oftmals nur über Meßreihen ermitteln ... und dafür muß auch nicht die Gauß'sche Normalverteilung oder logarithmische Normalverteilung bemüht werden.
3. Grundsätzlich ist die Übernahme sämtlicher Meßwerte aus anderen Quellen in Frage zu stellen. Seriöse Publikationen führen Art, Jahres- und Uhrzeit der jeweiligen Messung auf. Fehlen diese Angaben, sollten vergleichende Analysen zu Rate gezogen werden.
So, damit wäre einem der ganze Rest erspart geblieben - jetzt mal Klartext:
Was macht denn der Verfasser des uns vorliegenden Textes?
Er stellt eine mehr als abgedroschene Bauernweisheit in den Raum, bleibt aber dann jedweden haltbaren Beleg schuldig. Ein haltbarer Beleg wäre für mich statt des ständigen Anführens von Anekdoten mal ein handfester Hinweis auf gängige Meßfehler gewesen.
Ich zitiere hier mal aus einer Arbeit von Peter-Wolfgang Gräber - Automatisierungstechnik in der Wasserwirtschaft (TU Dresden):
(...)
6.1 Fehlereinteilung
Bei der Informationsgewinnung kommt es darauf an, dass die auf das System wirkenden Eingangsgrößen, d.h. die an den wasserwirtschaftlichen/wassertechnischen Prozessen beteiligten physikalischen und/oder chemischen Größen genau erfasst und durch einen Zahlenwert oder eine Grafik dargestellt werden können. Entsprechend der Charakterisierung von Signalen (vergleiche Abschnitt 2.1 Messtechnik), bei der von Informationsparameter und Informationsträger gesprochen wurde, spricht man im Zusammenhang mit der Fehlerbetrachtung von Messgrößen.
Die Messgröße ist die physikalische oder chemische Größe, der die Messung gilt. Der Wert einer Messgröße wird durch das Produkt aus Zahlenwert und Einheit ausgedrückt. Das Messergebnis ist der Schätzwert der Messgröße, der durch
Auswertung einer Messung erhalten wird. Auch in der Geohydraulik spielt dabei die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit derartiger
Zahlenwerte, d.h. die Messunsicherheit und Messungenauigkeit eine große Rolle. Diese Unsicherheit bzw. Ungenauigkeit des Messwertes wird von Fehlern negativ beeinflusst.
Man kann dabei Fehler nach der Art ihres Auftretens in systematische und zufällige (statistische) Fehler, aber auch nach der Art ihrer Entstehung in subjektive und objektive Fehler einteilen.
Systematische Fehler:
Werden hauptsächlich durch Unvollkommenheiten der Maßverkörperung der Messgeräte, der Messverfahren und des Messgegenstandes sowie von messtechnisch erfassbaren Einflüssen der Umwelt und persönlichen Einflüssen der Beobachter hervorgerufen.
Sie haben ein bestimmtes Vorzeichen (+ oder -), unter gleichen Bedingungen den gleichen Betrag, d.h. sie können durch Wiederholung der Messung nicht festgestellt werden, sondern nur durch ein anderes (genaueres) Messgerät oder Messverfahren
Zufällige bzw. stochastische Fehler:
Werden von messtechnisch nicht erfassbaren Änderungen der Maßkörper, der Messgeräte, des Messgegenstandes, der Umwelt und der Beobachter hervorgerufen. Auch numerische Berechnungen z.B. mit einem Computer sind in der Regel nicht beliebig genau, sondern fehlerhaft. So führen Rundungen und endliche Tiefe jedes Iterationsverfahren zu stochastischen Fehlern. Die zufälligen Fehler können bei einer Einzelmessung weder nach ihrem Betrag noch nach ihrem Vorzeichen bestimmt werden; sie sind daher nicht zu korrigieren und machen das Ergebnis unsicher. Wiederholt man eine Messung unter gleichen Bedingungen, so weichen die einzelnen Messwerte voneinander ab, sie ”streuen”. Sie können nach den Regeln der mathematischen Statistik in ihrer Gesamtheit zahlenmäßig erfasst und durch eine statistische Kenngröße charakterisiert werden.
Subjektive Fehler:
Sind die vom Menschen im Informationsgewinnungsprozess verursachten Fehler. Im Zuge der online-Informationsgewinnung werden diese Fehler immer mehr eliminiert. Subjektive Messfehler entstehen durch
- falsches Ablesen der Messskala
- falsche oder fehlerhafte Eintragung in die Protokolllisten
- Eintragung von geschätzten Messwerten oder Fehlstellen.
Objektive Fehler:
Sind im Allgemeinen durch ein Messverfahren oder Messgerät bedingt und damit gleichzeitig in die Klasse der systematischen Fehler einzuordnen. Typische Ursachen und Quellen systematischer objektiver Messfehler sind
- Rückwirkung des Messsystems auf das Messobjekt
- Unzulänglichkeiten der Messsysteme und der Gerätetechnik
- ungünstige Wahl des Messortes und -zeitpunktes.
Durch systematische Messfehler wird ein Messergebnis immer unrichtig (ungenau, falsch), durch zufällige Fehler dagegen unsicher.
(...)
Zitat Ende
Damit ist zumindest eine Defintion von Meßfehlern vorgegeben, statt marktschreierisch eine These mit nicht belegbaren "Eigenerfahrungen" ohne Aussagekraft zu würzen.
Hilfreich gewesen für unseren aquaristischen Bereich wären z.B. Hinweise auf
- die peinliche Reinhaltung der Messinstrumente und -gefäße (Küvetten, Pipetten, usw.).
- die Vermeidung von Überlagerung bzw. die korrekte Lagerung der zur Messung verwendeten Chemikalien und Instrumente.
- die Fehleranfälligkeit von bestimmten Meßverfahren z.B. bei sog. "Weichwasser" (z.B. unser allseits beliebter pH-Wert - da sind Schliffelektroden gefragt, da sogar die meisten Tröpfchentests hier ungenau werden - was übrigens auch seriöse Hersteller bzw. Händler von Elektroden und/oder Chemikalien erklären, wenn man sie auf den Verwendungszweck ihrer Produkte anspricht).
- Hinweise auf typische Meßfehler in der Aquaristik, z.B. der Kontakt der Meßflüssigkeit mit Verunreinigungen durch Hautschweiß beim Phosphat-Test - ein Meßfehler, den jeder mal bewußt reproduzieren kann).
- Hinweise auf korrektes Ablesen oder z.B. das Messen eines doppelten Volumens.
Eine weitere Aussage von ihm im Zusammenhang mit einer Messung ist "Ich habe zum Ausprobieren dieser Produkte einen Freund, Chemiker von Beruf, zu Hilfe gerufen". Ja und, bzw., um seinen eigenen Schlußsatz zu zitieren: "Wen juckt's?"
Die Aussagekraft ist genau die von "mein Nachbar ist Atomphysiker" ... Ein Dipl.-Ing., welcher seine Brötchen als Kfz-Sachverständiger verdient, ist meist auch nicht in der Lage, den Brenner meiner Heizung zu warten ... aber er ist doch "Ingenieur". Wer nicht als Analytiker mehr oder weniger täglich im Labor, bzw. z.B. als Limnologe o.ä. mit der Untersuchung von Gewässern beschäftigt ist, bzw. durch Arbeiten z.B. als Expeditions- oder Projektteilnehmer von entsprechenden Leuten angelernt wurde, kann in meinen Augen keine aussagekräftigen Messungen vornehmen.
Wie löst er also o.a. "Fiasko" der Messungen von Ammonium, Nitrit und Nitrat auf? Hat er mit dem Lieferanten der Chemikalien Rücksprache aufgenommen? Wir wissen es nicht, weil der Verfasser die Antwort schuldig bleibt ...
Der pH-Wert in den meisten Gewässern (entsprechende Zehrer und fehlende Pufferung vorausgesetzt) schwankt? Wirklich? Da braucht es keinen Jochen Paulo für, abgesehen vom logischen Menschenverstand wurde das auch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts schon in entsprechenden Fachbüchern über Wasserpflanzen (nein, und ich erwähne hier nicht die Literatur aus der Universitätsbibliothek) publiziert.
Wer also in der Literatur der Kescher-Komiker z.B. einen Meßwert (Temp., pH, ...) ohne Angabe von Datum/Uhrzeit findet, sollte evtl. mal nachschauen, ob es nicht in Standardwerken z.B. über Wasserpflanzen dezidierte Meßreihen an eben jenen Standorten gibt, die aussagekräftiger sind. Es gibt mehr als ein seriöses Werk, in dem der Autor selbst eingangs der Untersuchungen auf mögliche Meßfehler hinweist - übrigens auch schon in Büchern, die Ende der 1970er aufgelegt wurden.
Auch die Chemikalien haben sich seit 1988 weiterentwickelt (wir hatten ja nichts ...) - auch wenn selbst die sog. "namhaften" Aquaristikfirmen mit Sicherheit die Chemikalien nicht selber herstellen (ausser Dönerle, da fährt ja auch Bauer Harms morgens zur Ernte auf die Brennesselfelder), so erklärt das einfache "Umfüllen" auch nicht die Abweichungen in den Meßergebnissen, wenn Produkte von JBL, Tetra, Sera und Merck in parallelen Meßreihen zum Vergleich kommen.
Meine persönliche Einstellung zu "Tests":
Nun, bisher bezog ich mich nicht auf das Für und Wider von Wassertests, sondern auf den unsäglichen Text, welcher hier zur Diskussion gestellt wurde. Ich selbst achte heute auch fast nur noch auf die Leitfähigkeit, um Veränderung zu messen (auch Leitfähigkeitswert ist nicht gleich Leitfähigkeitswert - Stichwort: Elektrische Leitfähigkeit und TDS).
Aber: Zur Zeit fahren hier zwei neue Becken mit einem für uns neuen Bodengrund ein, dessen Veränderungen wir dokumentieren - folglich haben wir in der ersten Zeit mal wieder häufiger gemessen. Nicht wegen Nitrit und Nitrat, sondern eher in Bezug auf Veränderungen im pH-, KH- und GH-Wert (und der LF) - und der damit verbundenen Einlaufzeit.
Generell halte ich für einen Einsteiger das nicht übertriebene Anlegen von Meßreihen für nicht verkehrt, einfach um Nachweise für Veränderungen z.B. nach Eingriffen zu erlangen.
Wenn man etwas Erfahrung hat, lassen sich auch in der Aquaristik z.B. Indikatorpflanzen gezielt einsetzen, welche die Hälfte der ganzen Messverfahren überflüssig machen. Wer sich mit Gewässern beschäftigt und erfährt, das in der "freien Natur" ein Bodenklima mit einem pH-Wert von z.B. 5,2 nur als "mäßig sauer" bezeichnet wird, der macht sich über seinen pH-Wert in seinem Aquarium mit einem ordentlich und korrekt laufenden Bodengrund (mit entsprechendem Mulm und allen darin enthaltenen Lebewesen) keinerlei Gedanken mehr - auch nicht darüber, ob da groß "was eingestellt" werden muß ...
Natürlich setzt das auch für einen Einsteiger voraus, dass er sich Gedanken sowohl über die von ihm durchgeführten Meßmethoden als auch über die von ihm übernommenen Werte macht.
Aber das Denken kann einem keiner abnehmen - wer ellenlange Debatten über seine Schützlinge führt, sollte auch in der Lage sein, etwas Verständnis nicht nur für Wasserchemie, sondern auch für die biologischen Zusammenhänge im gesamten System aufzubringen.
Wer da keine Lust zu hat, sollte im Garten Kartoffeln anbauen.
Was bleibt also zu sagen? Ich fände es schade, solch einen Text, der ohne jeden stichhaltigen Beleg daherkommt und sich teilweise selbst widerspricht, kommentarlos stehen zu lassen.
Normalerweise hätten wir so etwas nicht ernst genommen - aber da hier auch Einsteiger lesen, die bisher über keinerlei aquaristische Erfahrung verfügen und direkt mit Garnelen starten, wollten wir zumindest aufzeigen, was der Verfasser nicht gesagt hat.
Noch einmal:
Es gibt genug Publikationen über Wasserchemie und -analytik. Macht Euch bewußt, was ihr messt und warum es notwendig ist oder nicht. Entwickelt ein Gespür für die Zusammenhänge - nicht "Hilfe, mein Wert xy hat sich verändert", sondern "Gestern habe ich Eingriff A gemacht, und heute hat sich Wert xy geändert" - legt Euch zur Not eine Kladde an. Lernt, Veränderungen am Pflanzenwuchs zu lesen, lest über biochemische Zusammenhänge ...
Das sowas als DCG-Information veröffentlicht wird, macht es nicht seriöser oder besser ... läßt eher auf Beitragsmangel schließen.
Abschließend:
Nein, wir sind mit keinem "Chemiker" befreundet - einige von Euch haben uns ja schon kennengelernt und wissen, dass wir wenigstens noch teilweise unser Brot mit dieser Materie verdienen ...
LG, Claudia